Nach der Flut – Persönliche Eindrücke aus dem Ahrtal
Anfang Oktober fragten zwei Paddelkollegen in unserer internen WhatsApp-Gruppe an, ob jemand Lust hätte, ins Ahrtal zum Helfen mitzufahren. Beide waren schon kurz nach dem Tag X (Nacht 14./15.7.2021) mit schwerem Gerät dort und brachten somit einige Erfahrungen mit. Ich war interessiert, wollte helfen und mir einen eigenen Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe verschaffen.
Zunächst suchte ich im Internet nach Übernachtungsmöglichkeiten, denn Schlafen im Zelt war für mich in dieser Jahreszeit keine Option. Außerdem informierte ich mich über Einsatzmöglichkeiten für mich, also für eine nicht mehr ganz so junge und vor allem nicht handwerklich ausgebildete Frau. Aber darüber brauchte ich mir keine Sorgen zu machen: Arbeit gab es wirklich für jeden und jede!
Also gesagt getan. Am Freitag, dem 22.10. fuhr ich in aller Herrgottsfrühe los. Ziel war das Camp der Initiative Helfer-Shuttle im Ortsteil Ringen in Grafschaft. Ich kam um 9 Uhr an, sagte ganz kurz Hallo zu meinen beiden Mitstreitern Andreas und Albert, und dann waren sie auch schon unterwegs zu ihrem Einsatzort in Marienthal. Im Helfercamp wuselte es wie in einem Ameisenhaufen und ich schaute mich erst einmal um. Das Camp bestand aus vielen großen Zelten, die zum einen der leiblichen Versorgung der Helfer und zum anderen der Ausstattung mit Arbeitskleidung und Werkzeug dienten. Eine Holzwerkstatt, eine Schmiede/Schlosserei, eine Elektrowerkstatt und ein großes Aufenthaltszelt für die Abende komplettierten das Camp. An zentraler Stelle war eine Art Gedenkstätte entstanden, die an die 180 Toten und die unzähligen Verletzten, Obdachlosen und sonstigen Betroffenen erinnern soll. Als ich die Einträge der unglaublich vielen Helfer mit ihren Grüßen und guten Wünschen las, hatte ich meinen ersten Klos im Hals. Irgendwie hat mich die Hilfsbereitschaft von so vielen Menschen aus allen Teilen Deutschlands und der Nachbarländer zutiefst berührt.
Aber nun wollte auch ich helfen. Die ersten Shuttle-Busse, große Gelenkbusse, die jeden Tag die zahlreichen Helfer ins Tal brachten (an Samstagen ca. 2.000, an den anderen Tagen 300 bis 600), waren schon unterwegs. Ich sprach einen der vielen Scouts mit gelber Weste an und fragte nach Einsatzmöglichkeiten. „Du kannst gleich mit ins Tal fahren, um einen Weinberg vom Schlamm zu befreien.“ Ich schaute auf meine Kleidung (ich kam ja gerade von zu Hause) und fragte vorsichtig, ob er vielleicht etwas anderes für mich hätte. Ich solle mich bei Judith im Versorgungszelt melden. Also gut. Ich fand Judith, die mich gleich zum Brötchen aufschneiden einteilte. Brötchen schmieren und mit Wurst oder Käse belegen erledigten bereits andere Helfer. Draußen wurde Kaffee gekocht und belegte Brötchen, Obst, Süßigkeiten und kalte Getränke angeboten, so dass die Helfer gut gefrühstückt zu ihren Einsatzorten fahren konnten. Später und an den nächsten Tagen machte ich gemeinsam mit wechselnden Helfern alles, was im Versorgungszelt anfiel: Frühstück vorbereiten, Spülmaschine bestücken und ausräumen, leere Getränkekisten wegbringen, Nachschub holen, Müll entsorgen, Kuchenspenden und anderes entgegen nehmen und und und … Vieles, was hinter den Kulissen abläuft und von denen kaum einer etwas mitbekommt, aber ganz wichtig für die Stimmung ist. Und es lief alles wie am Schnürchen.
Nach und nach erkannte ich auch die Struktur und Organisation des Helfer-Shuttles: Permanent gehen Anfragen und Aufträge von Betroffenen aus dem Tal ein. Jeden Morgen gibt es eine Ansprache zu den Helfern, in der die benötigten Fachkräfte und die Anzahl von Hilfskräften pro Einsatzort benannt werden. Die Busse bringen die Helfer an ihr Ziel, wo sie den ganzen Tag arbeiten. Vorher können sie sich noch mit Arbeitskleidung und Werkzeug versorgen – und los geht die Fahrt ins Flutgebiet. Mittags werden sie im Tal von ortsansässigen Restaurants, Caterern oder Privatpersonen beköstigt – alles auf Spendenbasis. Wenn die Helfer nachmittags von den Bussen wie aus einem riesigen Maul ausgespuckt werden, stehen schon zwei warme Abendessen (davon eins vegetarisch) für sie bereit, die vom Küchenteam aus frischen Zutaten zubereitet wurden. Dann steht die „Abendandacht“ auf dem Programm – eine lockere, lustige und sehr informative Ansprache von Thomas Pütz, dem Leiter des Camps, in der er den Tag zusammenfasst: Wieviel Helfer waren insgesamt im Einsatz, wo waren die meisten Helfer und was haben sie gemacht, gab es Verletzte und was war heute ganz besonders? Ich fand diese Ansprache außerordentlich interessant und wichtig, gibt sie doch allen Helfern das Gefühl, gemeinsam an einem großen Ziel mitgewirkt zu haben, auch wenn sie vielleicht nur in einer ganz kleinen Gruppe irgendwo den ganzen Tag Putz abgehackt haben. Damit wird eine positive, optimistische Grundstimmung erzeugt, die wohl einer der Gründe dafür ist, warum so viele Helfer immer wieder kommen und ihre Wochenenden und Urlaubstage im Schlamm und Staub verbringen.
Aber zurück zu mir. Angesteckt von dieser Stimmung, wollte ich auch einmal im Tal arbeiten und mir ein Bild von den Folgen der Flut, aber auch von dem bereits Erreichten machen. Nach meinem Frühstücksdienst am Sonntag hielt ich Ausschau nach weiteren Hilfswilligen, fand drei junge Frauen und einen Jeep, der uns nach Walporzheim brachte, wo wir in dem dortigen Containerdorf bei der Reinigung halfen. Zwei Stunden später ging es dann mit dem Jeep zur echten Dreckarbeit, zum Schlammschippen nach Altenahr. Wir fuhren immer entlang der Ahr, deren Uferregionen völlig zerstört und deren Brücken zum großen Teil nur noch in Fragmenten vorhanden waren. Wir fuhren durch Dörfer, die nicht mehr bewohnt schienen, an Straßenzügen vorbei, wo jedes Haus zerstört und teilweise die Fassade einfach weggespült worden war. Das alles war sehr deprimierend und ähnelte dem, was ich aus Nachkriegsfilmen kenne. Aber es gibt auch Hoffnung. Vereinzelt lagen noch umgestürzte Bäume herum, allein die Schuttberge ließen jedoch erkennen, dass hier im letzten Vierteljahr schon wahnsinnig viel geschafft worden war. Das Ufer der Ahr war bereits frei geschoben und planiert, vom THW waren Behelfsbrücken gebaut worden. Straßen und Wege waren fast überall zumindest behelfsmäßig instand gesetzt, und die Häuser wurden langsam wieder in den Rohbauzustand zurück versetzt.
Angekommen in Altenahr, stießen wir zu einer großen Helfergruppe, die Menschenketten gebildet hatten und aus zwei nebeneinander liegenden Hotelkellern völlig verschlammte Regale, Teppiche, Deko-Artikel, Gläser und sonstige Hotelausstattung auf einen großen Schuttberg transportierten. Den Schlamm brachten wir mit Eimern von Hand zu Hand aus dem Keller ans Licht und in die Schaufel eines Radladers. Wenn ich heute daran zurück denke und auch Bilder oder Videos von anderen zerstörten Gebäuden sehe, bin ich immer noch überwältigt vom Ausmaß der Katastrophe, aber auch von der unglaublichen Hilfsbereitschaft, aus der die Betroffenen wieder Optimismus schöpfen können.
Bad Neuenahr Altenahr Altenahr Altenahr Altenahr Andreas in Altenahr
Wenn jemand den Glauben an eine funktionierende Gesellschaft verloren hat, dann sollte er hierher kommen, hier wird solidAHRität gelebt. Allerdings ist die Angst der Betroffenen groß, dass nach und nach (auch wegen der bevorstehenden Wintermonate) das Ahrtal aus dem Focus der Öffentlichkeit verschwindet, die Hilfe abebbt und sie dann vor den Resten ihrer Existenz allein dastehen. Es wird noch sehr lange dauern, bis die Infrastruktur (Heizung, Strom, Gas, Straßen, Bahnlinien) wieder hergestellt ist und die Häuser wieder aufgebaut sind. Wer helfen möchte, kann sich über facebook oder im Internet unter dem Stichwort „Hilfe Ahrtal“ auf diversen Seiten informieren.
Eine Initiative, die mich sehr berührt hat, möchte ich allen ans Herz legen: Bei der Aktion 5-Euro-Haus (www.5eurohaus.de) kann man mit einer monatlichen Spende von 5 Euro helfen, ein bestimmtes Haus zu sanieren. Die Objekte sind einzeln beschrieben; man kann sich zunächst völlig unverbindlich informieren, erfährt dabei direkt etwas über die einzelnen Schicksale und kann sich ein Bild davon machen, wieviel Arbeit, Zeit und Geld hier noch vonnöten ist. Das Geld fließt direkt auf das Konto der Betroffenen. Das Motto des Initiators lautet: „Wenn möglichst viele Spender regelmäßig im Monat 5 Euro spenden, dann merkt das der Spender nicht. Aber wenn es gelingt, 100 Spender oder mehr für eine regelmäßige Spende zu gewinnen, dann nimmt das den Betroffenen eine riesen Last von den Schultern und lässt sie optimistisch in die Zukunft blicken – genial einfach und einfach genial.“ Ich selbst habe mich beteiligt und würde mich freuen, wenn möglichst viele meinem Beispiel folgen würden. Jede Spende hilft!
Ich bin froh, dass ich dem Aufruf von Andreas und Albert gefolgt bin. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los und ich werde sicher im Frühjahr wieder ins Ahrtal fahren. Es gibt noch sehr viel zu tun, und vielleicht ist ja dann noch der eine oder andere von euch mit dabei.
Hanne Wolff
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